Bildungsstreik 2009 – Klischees, blinder Aktivismus und Langzeitstreikende

Genug ist genug! Ich bin selbst Student und als der Aufruf zum Bildungsstreik kam, dachte ich, dass die so genannte „Bildungselite“ mit ihrem Streik wirklich realistische Ziele zu verfolgen versucht und auf angemessene Art und Weise auf sich aufmerksam machen wird – doch ich lag falsch. Im Endeffekt hat nämlich nicht die Studentenschaft „geschlossen“ protestiert, sondern nur ein kleiner Teil, dem weniger an der Sache, als am blinden Aktivismus liegt.

Jeder Mensch, der eine halbwegs anständige Bildung genossen hat, sollte wissen, dass es beispielsweise nach der Bologna-Reform schlichtweg unmöglich ist, Bachelor- und Masterstudiengänge wieder komplett abzuschaffen und zu Magister- und Diplomstudiengängen zurückzukehren. Aber anstatt zu fordern, dass man bestehende Bachelor- und Masterstudiengänge verbessert und ausbaut, wollte man lieber das gesamte System kippen – ebenso gut hätte man die Einführung der Monarchie in Deutschland fordern können. Ähnlich sah es beim Thema Studiengebühren aus, bei dem ebenfalls die komplette Abschaffung und damit der radikalste der möglichen Optionen gefordert wurde, anstatt über Sinn und Zweck dieser Gebühren nachzudenken und eventuell nur eine (unter Umständen sogar realistische) Senkung jener zu fordern.

Ich habe in der Überschrift dieses Artikels von Klischees, blindem Aktivismus und Langzeitstreikenden gesprochen und will im Folgenden auch noch erläutern, wieso gerade die Langzeitstreikenden mit Langzeitstudierenden gleich zu setzen sind. Es ist blinder Aktivismus, wenn Studenten ganze Verkehrsinfrastrukturen zeitweise lahm legen und dabei dem Staat keine Alternative lassen, als die Polizei einzusetzen. Es ist blinder Aktivismus, wenn Studenten Hörsäle nicht nur einen Tag, sondern gleich eine Woche besetzen und damit diejenigen am Studieren hindern, die auch wirklich noch Interesse an ihrem Studium haben. Bereits durch die Proteste in der letzten Woche wurden die Medien auf die Missstände an deutschen Hochschulen aufmerksam gemacht und es gibt nichts, aber auch gar nichts, was es rechtfertigt, dass auch in dieser Woche noch Hörsäle besetzt sind.

Am heutigen Morgen noch, habe ich einen Zeitungsartikel mit der Überschrift „Reiche Söhnchen gegen linke Zecken“ gelesen, in dem es vor allem um die Bedienung von Klischees während des Bildungsstreiks ging und kaum 3 Stunden später fand ich diese bestätigt. Als ich den Vorlesungssaal betrat, in dem eigentlich heute meine Vorlesung hätte stattfinden sollen (letzte Woche übrigens ebenfalls), kam ich nur 2 Meter weit, denn dort lag dann nämlich jemand in einer Hängematte und versperrte den weiteren Weg. Im gesamten oberen Stockwerk der Uni bot sich das selbe Bild: Studenten mit langen, zerzausten Haaren, Stickpullovern und zerrissenen Hosen mit aufgenähten Peace-Zeichen – einige waren mit Gitarre spielen beschäftigt, andere drehten sich gerade „etwas“. Genau mit dieser Beschreibung verbindet man gemeinhin den Typus „Langzeitstudent“, wegen dem unter anderem gerade Studiengebühren eingeführt wurden. Ich frage mich, ob an dieser Stelle sich ein Klischee nicht zu einem Fakt manifestiert? Der Bildungsstreik 2009 ist bereits Ende letzter Woche gelaufen gewesen und zumindest manche Kritikpunkte wurden in den Fokus von Politik und Öffentlichkeit gerückt. Diejenigen jedoch, die am heutigen Tage immernoch Hörsäle besetzt halten, tragen nichts zur Verbesserung der Situation bei, sondern fördern lediglich in der Öffentlichkeit das Bild des Studenten, als Drückeberger, der nur an der Uni ist, damit er nicht arbeiten muss und lieber blinden Aktivismus übt, anstatt zu „studieren“ – ein gammliger Student eben.

Ich bin für eine Verbesserung der Lehre an unseren Hochschulen, ich bin für eine Senkung der Studiengebühren und eine verbesserte finanzielle Unterstützung für Studenten – aber um das zu erreichen, sind Hörsalbesetzungen und ähnliche Dinge nicht das richtige Mittel.

9 Kommentare

  1. watcher sagt:

    ich werde dich nach dem Artikel nicht steinigen, sondern kann in vielen Passagen nur nickend zustimmen.

    Anstatt immer gleich maximale Forderungen zu stellen, hätte man auch mal konstruktiv kleine Schritte vorschlagen können (Studiengebühren senken und sinnvoll einsetzen, Vorschläge, was man am Master/Bachelor ändern muss etc und nicht gleich immer „alles muss anders sein, am besten gleich abgeschafft!“)

    Auch bei uns sitzen im besetzten Hörsaal v.a. die, die man dort voruteilstechnisch erwartet. Gut, einige wenige motivierten Bachelor-Studenten wohl auch. Aber der erste Eindruck ist doch stark Vorurteils-befriedigend. Und bei knapp 22.000 Studenten hier sind die 200 Protestler, die alle mehr oder weniger einer Gruppierung zugerechnet werden können, eben nicht repräsentativ.

    Und dennoch stören sie den gesamten Ablauf der Uni (auch wenn es mich nicht tangiert, da ich auf nem anderen Campus bin). Gibt es überhaupt ein Ziel, ab dessen Erreichen die Proteste aufhören sollen und die Besetzung beendet wird? Wann will man eigentl. damit aufhören? Vllt spät. wenn die Rektoren dann die Uni räumen lassen müssen, weil die Notfallpläne ausgereizt sind…. na wir werden es sehen.

    Danke für den tollen Artikel! 🙂

  2. Frank sagt:

    Man wird im Endeffekt das Maximum ausreizen und es darauf anlegen, dass die Polizei alles räumt, aber auch nur deshalb, dass man dann wieder gegen die Maßnahmen der Polizei wettern kann. Das ist in meinem Augen einem „universitären Niveau“ einfach nicht angemessen.

  3. Torsten sagt:

    ähnliches bild hier an der uni regensburg, wobei ich auch sagen muss, dass die plena sehr konstruktiv sind und weiterhin an der ausarbeitung der forderungen gearbeitet wird. aber die streikenden sind keinesfalls der durchschnittliche student, sondern meist in der ecke öko/links anzuordnen…

  4. KOM sagt:

    ganz klar, besetzung ist kein sinnvolles mittel. und ja, man sollte vll prakmatischer sein. aber warum kann man die studiengebühren nicht abschaffen? das musst du erklären! etwas einfach in den raum zu stellen ist wenig sinnvoll. das ist einfach eine billige gegenbehauptung. also genausowenig universitätsniveau. ich hab bisher auch noch keine argumente dagegen gelesen…

  5. murdock sagt:

    @Frank:
    Sondern?*
    Wie sollte man reagieren? Nicht dass ich dem Kreis der Hörsaalbestzer angehören würde, aber da du ja wohl besser weißt wie man darauf reagieren sollte, würden mich deine Vorschläge durchaus interessieren.

    Und, was haben lange Haare, Gitarrenspielerei und Strickpullover mit der Thematik zu tun? Wo ist die Relevanz?
    Du studierst Politik und was dir zum Bologna-Prozess und zu Studiengebühren einfällt sind aufgenähte Peace-Zeichen?
    Das ist dann wohl „universitärem Niveau“ angemessen.

    *@Letzter Satz deines Artikels.

  6. Frank sagt:

    @murdock: lange Haare, Gitarrenspielerei und Strickpullover haben mit der Thematik insofern zu tun, als dass nur dieser „Typus“ Student gerade noch am Protestieren ist und damit eben bestehende Klischees bestätigt. Und genau so sieht es an allen Universitäten aus, wie ich inzwischen von zahlreichen Leuten bestätigt bekommen habe. Die Proteste sind längst gelaufen und haben die Öffentlichkeit aufmerksam gemacht, alles weitere ist jetzt einfach nur noch Gammlerei ohne Sinn und Zweck von genau einer Gruppe Studenten, die dazu noch eine Minderheit darstellen.

    @KOM:

    – die Universitäten planen langfristig mit den Studiengebühren für diverse Projekte und Innovationen, eine komplette Abschaffung würde unweigerlich zur Streichung geplanter Projekte führen bzw. bereits realisierte Veränderungen (etwa längere Öffnungszeiten der Bibliothek) wieder rückgängig gemacht werden
    – weiterhin haben die Studiengebühren dazu geführt, dass mehr Kurse und AGs angeboten wurden, mehr Dozenten eingestellt wurden, sich die Anzahl an verfügbaren Lernmedien (PC-Arbeitsplätze, Bücher, Zeitschriften) verfielfacht hat und Dinge wie Reader und Skripte subventioniert wurden

    Allein das erachte ich als außreichend für den Erhalt von Studiengebühren, jedoch in gesenkter Form – etwa 250 € – 300 € sollten angemessen sein.

  7. Torsten sagt:

    bin weiterhin für nachgelagerte Gebühren. 240 Euro p. a. für 25 Jahre… = 6000 Euro für ein Bachelorstudium. Wer grad Zeit und Wille hat, darf das gern ma auf Barwert bringen… evtl. müsste man dann noch korrigieren.

    später tut einem der kleine beitrag nicht weh und trotzdem zahlt man etwas für nachfolgende generationen

  8. Cara sagt:

    Natürlich treffen Klischees wohl in gewissen Maß zu, aber eben nicht überall und in gleichem Ausmaß. Der linke Langzeitstudent, der hier als typischer Besetzer beschrieben wird, ist zumindest meiner Meinung nach nicht auf die Masse der Protestierenden abbildbar (gut, ich kann nur für meine Uni sprechen).
    Ich glaube, man darf das ganze nicht verallgemeinern. Von den Artikeln, die ich bis jetzt gelesen haben, scheint auch die Art der Besetzung sehr unterschiedlich zu verlaufen und dementsprechend auch zu unterschiedlichen Resultaten zu führen.
    Und noch etwas zu den Studiengebühren: Meiner Meinung nach ist einigen, die eine Abschaffung der Gebühren fordern, bewusst, dass ihre Forderung aufgrund der finanziellen Situation unseres Landes nicht realisierbar erscheint. Allerdings denke ich, dass Maximalforderungen notwendig sind, um sich letztendlich in der Mitte zu treffen, d. h. um überhaupt eine Reduzierung erreichen zu können (oder einer möglichen Erhöhung vorzubeugen.)

  9. KOM sagt:

    wieso ist die abschaffung von studiengebühren finanziell nicht realisierbar?

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